Fritzi tobte mit Manuel
ausgelassen über den Rasen. Sie kickten sich gegenseitig den Ball zu und
schossen dann auf das Tor, als sie am anderen Ende des Gartens die beiden
jungen Kirschbäume erreichten, deren Stämme die Torpfosten darstellten.
Fritzi liebte es draußen zu
spielen, auf Bäume zu klettern, mit Manuel und anderen Jungen zu raufen, Buden
zu bauen, mit Autos zu spielen und ab und zu heimlich ein Feuer zu machen, wenn
sie Cowboy und Indianer spielten. Natürlich kannten sie sich aus. Sie wussten,
dass eine Feuerstelle immer durch einen Steinkreis gesichert werden musste.
Schließlich waren sie Fachleute, was indianische Feuer betraf.
Fritzi`s Eltern schauten den
ballspielenden Kindern von der Terasse aus zu.
Die Mutter betrachtete nachdenklich
das Treiben der Kinder, denn Fritzi hieß mit richtigem Namen Friederike.
Warum musste sie sich immer
wie ein Junge benehmen? Sollte sie nicht eher mit Puppen spielen? Warum trug
sie am liebsten Hosen statt Röcke und Kleider?
Was stimmte mit diesem Kind
nicht?
"Hach, da lasse ich
wohl am Besten schon mal das Badewasser ein, so wie die rumtoben, lohnt sich
das gleich. Das Badewasser und die Wanne werden wieder schwarz sein.",
seufzte die Mutter und ging ins Haus.
Fritzi´s Vater betrachtete
seine Tochter schmunzelnd. Irgendwie war sie der Junge, den er sich immer
gewünscht hatte. Na ja, aber eben auch nicht so ganz.
Als Manuel sich
verabschiedete um zum Abendbrot nach Hause zu gehen, stürmte Fritzi strahlend,
mit erhitzten, roten Wagen, das blonde Kurzhaar verschwitzt, an ihrem Vater
vorbei, ins Haus.
Ihre Schuhe waren voller
Lehm und Gras. Der Rasen hatte an den Seiten ihrer Kleidung seine Spuren hinter
lassen und ihr Gesicht wies dort, wo sie sich den Schweiß weggeputzt hatte
Schmutzstreifen auf.
"Boah, Papa, hast du
gesehen, das war eben ne richtige Blutgrätsche!", rief sie stolz.
Fritzi fühlte sich super!
Das hatte Superspaß gemacht!
Sie stürmte in ihr Zimmer
und hinterließ dabei kleine Lehmbrocken und Grasreste auf dem Wohnzimmerteppich.
Aus den Augenwickeln sah sie ihre Mutter, die gerade aus dem Bad kam.
Den
Blick kannte sie. Es war eine Mischung aus Missfallen, Entsetzen, Enttäuschung
und Unverständnis.
Fritzi´s gute Laune und
Freude war schlagartig dahin.
Als sie kurze Zeit später in
der Wanne lag, dachte sie wieder einmal über ihre Mutter nach.
Warum ist sie immer böse,
wenn ich draußen spiele und das tue, was mich Spaß macht? Warum soll ich immer
nen Rock anziehen? Ist doch voll unpraktisch!
Fritzi verstand nicht warum
ihre Mutter sie nicht so liebhaben konnte wie sie war. Immer nörgelte sie rum.
Sie solle sich endlich mal wie ein Mädchen benehmen
Klar, sie war ein Mädchen,
aber - eigentlich fühlte sie sich eher wie ein Junge.
Die Zeit verging und Fritzi
versuchte sich irgendwie anzupassen. Mehr Mädchen zu sein - was immer das auch
bedeutete.
Was die Kleiderfrage betraf
war ihre Mutter inzwischen Kompromisse eingegangen, da Fritzi, wenn sie in der
Schule oder zum Spielen einen Rock tragen musste, dieser meinst nur
unvollständig oder zerrisen wieder zurück kam. Einen Jägerzaum, beispielsweise
zu überklettern, war mit einem Rock auch ziemlich unpraktisch.
Jeden Sonntag gab es jedoch
die leidige Rockdiskussion, die meistens mit Tränen endeten und manchmal auch
mit einer Ohrfeige, wenn Fritzi sich wehement weigerte.
Und auch die Sache mit der
Handarbeit!
Fritzi´s Mutter konnte gut
nähen und stricken. Sie konnte nicht verstehen, warum ihre jüngste Tochter
diese Begeisterung nicht teilte. Stattdessen nahm diese lieber einen Hammer in
die Hand und schaute dem Vater beim Werken zu.
Die Mutter machte sich große
Sorgen um ihre Tochter. Was war mit dem Kind nur los?
Als Fritzi zwölf Jahre alt
war begann ihr Busen zu wachsen. Das fand sie ganz fürchterlich. Sie besaß
einen roten, weiten Pullover, den sie fortan fast ausschließlich trug, um die
sichtbar werdende Weiblichkeit zu verbergen.
Die Zeit verging und
irgendie ergab sich Fritzi in ihre Rolle, die Rolle einer Frau.
Sie trug jedoch weiterhin
nur Hosen und ein fiffiger Kurzhaarschnitt umrahmte das kesse Gesicht.
Die Geschichten mit Junges,
wie ihre Schwester sie durchlebte, gab es in ihrem Leben jedoch nicht.
Sie mochte Junges, keine
Frage, jedoch eher als Kumpels. Gerne diskutierte sie mit ihnen, beispielsweise
über Autos. Sie waren direkter, einfacher und nicht so zickenhaft wie Mädchen
und Frauen. Fritzi hasste Gespräche über Kochrezepte oder die neuste Mode.
Als Fritzi 23 Jahre alt war,
inzwischen hatte sie einen Beruf mit handwerklichem Hintergrund erlernt und
besaß eine eigene Wohnung, traf sie Manuel, ihren alten Spielkameraden, wieder.
Manuel war inzwischen auch
zu einem stattlichen, jungen Mann geworden.
Die alte Vertrautheit war
sofort wieder da.
Fortan trafen sie sich
häufiger. Fritzi fühlte sich bei und mit ihm wohl. Er war verständnis- und
rücksichtsvoll. Nie verlor er ein Wort über ihr Ausssehen und ihre Art sich sportlich zu kleiden.
Fritzi und er hatten immer
noch viele gemeinsame Interessen und es war einfach schön, wenn der bei ihr
war.
Aber - liebte sie ihn?
Irgendwie ja, aber eher wie einen Bruder.
Manuel umwarb Fritzi und sie
ließ es geschehen. Es tat ihr gut. Da war jemand, der sie so mochte wie sie
war.
Als Manuel um ihre Hand
anhielt, sagte sie JA. Sie wollte nicht mehr alleine sein, sie wollte Kinder
haben, eine Familie. Sie wollte ein Leben mit Manuel.
Die tiefe Sehnsucht, die sie
manchmal fühlte, dass es da noch mehr gab, verdrängte sie.
Ihre Mutter atmete auf.
Hatte sie immer noch befürchtet, dass mit Fritzi etwas nicht stimmte. ...
Manuel war Fritzi´s erster
Mann. Er war sehr einfühlsam und liebevoll. Doch so intensive Gefühle, wie sie
es sich zwischen Mann und Frau vorstellt hatte, konnte sie mit ihm nicht
erleben.
"Naja, die Sache mit
dem Sex wird auch überbewertet," sagte sie deshalb zu sich selbst. Da sie
jedoch unbedingt ein Kind wollte, wehrte sie Manuel nicht ab, wenn dieser sie
liebevoll und leidenschaftlich an sich zog.
Fritzi wurde schwanger und
sie bekamen eine Tochter.
Ein neues, aufregendes und
schönes Leben als Familie begann. Alles drehte sich um die kleine Nina.
Das Liebesleben zwischen
Fritzi und Manuel erlosch, da Fritzi es nicht mehr wollte.
Als die kleine Nina 1 Jahr
alt war, überlegte Fritzi wieder etwas für sich selbst zu tun. Nicht nur,
kochen, putzen, waschen und Windeln wechseln.
Da sie immer schon sehr
sportliche gewesen war, meldete sie sich zu einem Gymnastikkurs an.
Voller Freude fuhr sie zum
ersten Training.
Als sie die Halle betrat,
blickte die Kursleiterin, die gerade Matten auf dem Boden verteilte, auf.
Fritzi schaute zum ersten Mal in die blaugrauen Augen von Gisa,
und - es machte "bähm".
Gefühle, wie sie sie nie
zuvor gespürt hatte, durchströmten ihren ganzen Körper. Sie war geschockt und fasziniert zugleich.
Auf der Heimfahrt versuchte
sie ihre Gedanken und Gefühle zu sortieren.
"Ich hab mich in eine
Frau verliebt." , sagte sie laut zu sich selbst.
Fritzi stellte sich Gisa´s
Gesicht vor. Diese wundervollen Augen, der schöne, geschwungene Mund, die
Grübchen auf der Wange, die blonden, kurzen Haare.
Wieder ließ sie dieses
wundervoll berauschende Gefühl aufsteigen und plötzlich wusste sie, wer und was
sie wirklich war.
Es war, als wäre sie aus
einem hundert Jahre währenden Schlaf erwacht.
Als Gisa und sie sich das
erste Mal liebten, wusste Fritzi, dass sie ihr ganzen Leben unbewusst auf
diesen Moment gewartete hatte.
Sie war endlich bei sich
selbst angekommen.
Ó 12/2017
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