Samstag, 16. Dezember 2017

Fabian - nicht nur eine Weihnachtsgeschichte

Fabian saß auf der Fensterbank und schaute in den Hof hinunter.
Es schneite seit dem frühen Morgen und inzwischen war der Boden vollkommen vom weißen Flockenteppich bedeckt. Die Eiskristalle funkelten im Sonnenlicht.

Die anderen Heimkinder tollten ausgelassen im Schnee herum. Ein paar von ihnen rollten immer größer werdende Kugeln durch den Schnee um einen Schneemann zu bauen. Andere machten eine Schneeballschlacht und kreischten, wenn sie von den kalten Kugeln getroffen wurden.

Fabian seufzte.
Er hatte keine Lust mit den Anderen zu spielen. Nicht das seine Beinschiene, die er schon Zeit seines Lebens trug ihn daran hindern würde. Zugegeben, er war nicht so schnell und beweglich wie die Anderen, aber das war es nicht.

So lange Fabian denken konnte hatte er im Heim gelebt. Woher er genau kam wusste niemand. Man hatte ihn als Neugeborenen in einer Babyklappe abgelegt.
Nun stand für ihn das siebte Weihnachtsfest vor der Tür. Morgen war Heiligabend und er würde wohl auch diesen wieder hier im Heim verbringen.

Er wusste zwar nicht wie das ist, aber er wünschte sich sooo sehr eine Familie, -
Eltern -  die ihn liebhatten, die ihn in den Arm nahmen, wenn er sich weh getan hatte oder traurig war.

Schon oft waren Ehepaare im Heim gewesen und auf ihn aufmerksam geworden, - den hüpschen Jungen mit den blonden Locken und den strahlend blauen Augen. Doch sobald sie seine Beinschiene gesehen hatten, waren sie zurück gewichen und hatten sich für ein anderes Kind entschieden, das dann, nach ein paar Tagen, glücklich strahlend mit ihnen das Heim verließ.

Fabian seuzte erneut.
Vor ein paar Tagen waren ein Mann und eine Frau ins Heim gekommen, die einen Jungen adoptieren wollten. Der Mann hatte, wie Fabian, blonde Locken. Das Paar war sofort auf Fabian aufmerksam geworden. Sie hatten mit ihm geredet und sich als Sam und Isabell vorgestellt. Sie hatten mit ihm gespielt und es fühlte sich schön an, und - irgendwie - auch vertraut. 
Doch er merkte, wie sie immer wieder auf seine Beinschiene schauten und sich Blicke zuwarfen.
Fabians Mut war wieder gesunken - denn - das kannte er ja schon.
Sie würden nicht wiederkommen, da war er sich sicher. Niemand wollte einen Krüppel wie ihn.
Und es schmerzte ihn, wenn er an das Gefühl der Vertrautheit dachte, das er mit ihnen erlebt hatte.
Tränen kullerten über seine Wangen und tropften auf die Fensterbank.
Schniefend und putze er sich mit seinem Pulloverärmel die Nase.

Er versuchte den Schmerz, der seine Brust zu sprengen drohte, wegzuschieben und rutschte von der Fensterbank.
"Vielleicht sollte ich doch runter zu den Anderen gehen", sagte er leise zu sich selbst und zog sich Stiefel, Jacke, Mütze und Handschuhe an.
Auf dem Weg zum Hof dachte er an Morgen.

Morgen war Heiligabend.
Es würde leckeres Essen geben.Gemeinsam würden sie in der Empfangshalle am großen Weihnachtsbaum singen unter dem für jedes Kind immer ein Geschenk lag.
Ansschließend konnten sie lange spielen, denn sie mussten an diesem Tag nicht so früh schlafen gehen.

Inzwischen hatte Fabian die Eingangshalle erreicht und wandte sich der Hoftüre zu, als die Haustürklingel ertönte. Neugierig blieb er stehen und beobachtete, wie der Heimleiter, Herr Adams öffnete.

Staunend riss Fabian die Augen auf und sein Unterkiefer klappte herunter.

Sam und Isabell betraten die Eingangshalle. Als sie ihn sahen kamen sie lächelnd auf ihn zu. Herr Adams folgte ihnen schmunzelnd.
Isabell ging vor Fabian in die Hocke.
"Hallo Fabian", sagte sie, "ich hoffe, du hast nicht gedacht, dass wir dich vergessen haben. Wir möchten dich etwas fragen. - Sei aber bitte ganz ehrlich zu uns. - Möchtest du zu uns kommen? Wir möchten gerne deine Eltern sein, wenn du magst."
Fabian hatte einen Kloß im Hals und konnte nur nicken.
"Ja gerne", brachte er noch krächzend hervor.
Isabell breitete ihre Arme aus und drücke ihn an sich. Das fühlte sich wundervoll an. Es war warm und weich.
Nun beugte sich auch Sam zu Fabian herunter und hob ihn hoch. Auch das fühlte sich toll an. Stark und geborgen.

Nachdem Fabian seine Sachen mit Hilfe von Isabell gepackt und er sich von allen verabschiedet hatte, saß er mit seiner neuen Mutter auf dem Rücksitz des Autos, das Sam sicher durch den Abendverkehr lenkte.
Fabian schielte immer wieder zu Isabell hin.
"Hast du gedacht, wir würden nicht mehr wiederkommen?", fragte sie ihn plötzlich.
Fabian nickte. "Bisher war es immer so", antwortete er leise mit gesenktem Blick. "Immer wenn die Leute meine Beinschiene gesehen haben, wollten sie mich nicht mehr", fuhr er weiter traurig fort.
Isabell drehte sich zu ihm und schaute ihm direkt in die Augen.
"Fabian, du bist ein toller Junge. Das haben wir sofort gemerkt. Und deine Beinschiene ist ein Teil von dir. Auch sie hat dich zu dem tollen Jungen gemacht, der du bist."
Sam am Steuer nickte zustimmend.
Fabian verstand nicht so ganz, was sie damit meinten, aber es fühlte sich ehrlich und gut an. Dankbar lehnte er seinen Kopf gegen Isabells Arm.

Im Haus der Schürmanns angekommen, so hießen Isabell und Sam nämlich,  gab es für Fabian die nächste, große Überraschung.

Als Sam die Haustüre öffnete, wurden alle Drei freudig von einer mittelgroßen  Promanadenmischung begrüßt, die Fabian sofort durchs Gesicht leckte.
"Das ist Buddy", sagte Isabell lächelnd und beugte sich zu dem Hund hinunter, der sich sofort auf die Seite legte und bereitwillig kraulen ließ.
Und da sah Fabian es.
Buddy hatte nur drei Beine!
Isabell sah Fabians erstauntes Gesicht und lächelte.
Dann schaute sie ihm direkt in die Augen und sagte mit sanfter Stimme:

"LIEBE achtet nicht auf Äußerlichkeiten. Sie berührt Herzen und verbindet sie."






Ó 12/2017 by Karin Alana Cimander                                    
Bildquelle: pixabay.com

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Samuel der Sternenputzer